Rudolf
von Eschwege wurde am 27.02.1895 in Homburg von der Höhe (Provinz
Hessen-Nassau) geboren und besuchte die Kadettenschule. Nach
Ausbruch des Krieges ging er von der Kriegsschule weg und als
Fahnenjunker im Jäger Regiment zu Pferde Nr. 3 ins Feld. Schon sehr
früh erkannte er das Potential der fliegenden Streitkräfte, sodass
er zu Schulungszwecken im Februar 1915 in die Heimat versetzt wurde.
Um ein Haar wäre er wegen völliger Unfähigkeit zu seinem Regiment
zurückgeschickt worden, weil er während der Ausbildung eine ganze
Anzahl sauberer Brüche hingelegt hatte. Nach fünfmonatiger
Ausbildung wurde er nach bestandener Prüfung als Zweisitzerpilot
zur Feldflieger Abteilung 36 versetzt, wo er von Juli 1915 - Mai
1916 ein Zweisitzerflugzeug flog. Im Mai 1916 durfte er nach langem
Drängen auf Einsitzer umschulen. Nach erfolgter Prüfung wurde er
wieder der Front zugewiesen.
Der
erste Abschuss war für den Flieger etwas besonderes. Meist war er
das Schwierigste für den Flieger, so auch für Rudolf von Eschwege,
der folgendes berichtete. Sein erster Abschuss war ein englischer
Farman. Seine Garbe saß gut, sodass der Engländer mit
zerschossenen Motor notlanden musste. Da der englische Pilot das
Flugzeug jenseits der Front glücklich landen konnte, wurde der
erste Abschuss des Leutnant von Eschwege nicht bestätigt und damit
nicht anerkannt. Alsdann erfolgte die Versetzung zur
Feldfliegerabteilung 66, die damals in Xanthi stationiert war.
Einmal konnte von Eschwege aus einem englischen Thasos-Geschwader,
das Bomben auf den heimischen Bahnhof geworfen hatte, einen Farman
abdrängen. Fast 500 Schuss hatte von Eschwege verfeuern müssen,
bis er dem Flugzeug den Motor zerschossen hatte und dieses im
Gleitflug aufs Meer hinuntergehen musste. Da es ein Landflugzeug mit
Rädern war, überschlug es sich im Meer und sackte ab. Als von
Eschwege wieder gelandet war, kam vom bulgarischen
Beobachtungsposten an der Mestamündung die Meldung: „Farman nach
Luftkampf mit deutschem Flieger ins Meer gestürzt“. Von Eschwege
war selig, da er dachte, dass dies sein erster anerkannter Luftsieg
war. Leider war dem nicht so, wie sich in der Folge herausstellte. Für
die Überwachung und Anerkennung der Abschüsse war der „Kogenluft“
(= Kommandierende General der Luftstreitkräfte Excellenz von Höppner)
zuständig. Dieser war ein peinlich genauer Mensch, der sofort eine
protokollarische Vernehmung der Zeugen anforderte. Nun war zum Pech
von Eschwege das bulgarische Regiment, zu dem der Beobachtungsposten
gehörte, inszwischen nach der Monastir-Front verladen worden. Man
konnte den Zeugen nicht mehr erwischen.
Trotzdem
klappte es trotzdem noch mit dem ersten Abschuss. Obwohl sich die
Front auf griechisches Gebiet verschob, wurde der Flugplatz in
Xanthi beibehalten. Um näher an der Front zu sein, richtige sich
von Eschwege einen Gefechtslandeplatz bei Drama ein. Am 19.11.1916
kam ein Engländer in ganz niedriger Höhe und beschoss mit seinem
Maschinengewehr die exerzierenden Bulgaren. Von Eschwege stieg auf
um den englischen Zweisitzer noch vor Erreichen der Front abzuschießen.
Aufgrund wiederholter Ladehemmungen musste von Eschwege den Angriff
dreiundzwanzig mal wiederholen. Endlich konnte er ihm den Motor
zerschießen, sodass er noch vor der Front auf bulgarisch
kontrolliertem Gebiet landen musste. Flugzeug, Pilot und Beobachter
sind dabei heilgeblieben. Es war außerdem das erste Flugzeug, das
bei der Armee diesseits der Front abgeschossen wurde. Die ganze
Stadt Drama kam in Aufregung und brachte Rudolf von Eschwege
Ovationen. Vom 2. bestätigten Abschuss am 27.12.1916 besteht ein Foto, auf dem Rudolf von Eschwege auf dem Rumpf sitzt. Bei dieser
Einheit geschah auch etwas fürchterliches für den jungen Leutnant.
Bei einem Probeflug startete von Eschwege mit seinem ersten Monteur
auf dem Beobachtersitz. In 3000 Meter Höhe legt Rudolf von Eschwege
das Flugzeug in eine scharfe steile Linkskurve und in diesem
Augenblick fällt der Monteur samt Sitz aus dem Flugzeug. Von
Eschwege stand unter Schock, stellte den Motor ab und ging in den
Gleitflug über. Bei der Landung überschlug sich das Flugzeug.
Dabei blieb von Eschwege unverletzt. Für den Monteur kam jede Hilfe
zu spät. Er hatte sich alle Knochen gebrochen und wurde auf einen
Meter Körpergröße zusammengestaucht. Es war Eschweges erster
Monteur, ein fähiger und tüchtiger Mensch. Später stellte sich
heraus, dass er sich nicht angeschnallt hatte. Ein bedauernswerter
Unglücksfall. Nach insgesamt 2 anerkannten Abschüssen wurde Rudolf
von Eschwege im
Januar 1917 zur Feldfliegerabteilung 30 nach Drama versetzt. Die
Staffel operierte von Orljak bis Strumamündung einen Streifen von
rund 60 Kilometer Luftlinie. Dazu kam noch der Küstenabschnitt von
Tschajagzi bis zur Mestamündung mit etwa 100 Kilometern. Insgesamt
160 Kilometer Front für 3 Aufklärungsflugzeuge und 1
Kampfeinsitzer. Dieser eine Kampfeinsitzer war eben Rudolf von
Eschwege. Auffällig bei Eschwege war sein Verhalten auf dem
Flugplatz. Der Staffelführer Haupt-Heydemarck schrieb über sein
erstes Treffen mit Rudolf von Eschwege folgendes: „Von Eschwege
kam schon sehr früh vom Flugplatz, wo er an seinem Motor gearbeitet
hatte. Mittelgroße, fast zierliche Gestalt mit einem
scharfgeschnittenen Gesicht, in dem hell zwei blaue Augen blitzten.
Seine Hände waren schwarz wie die eines Schlossers. Waffenrock und
Hose waren voll Ölflecken. Ja so war er. Sein Flugzeug liebte er zärtlich.
Auch bei schlechten Wetter lag er den ganzen Tag auf dem Platz. Wenn
der Motor überholt werden musste oder wenn sonst eine Reparatur
auszuführen war, dann arbeitete er mit seinen Monteuren bis in die
Nacht hinein. Wie oft sah ich ihn später in seinem Arbeitskittel am
Schraubstock stehen. Eschwege war immer der Meinung, dass ein
Flugzeugführer auch nach der Landung für sein Flugzeug
verantwortlich ist. Nur so können beide (Flugzeug und Pilot) im
Luftkampf harmonieren.“ Es blieb nach wie vor eine Spezialität
von Eschwege sich gute Gefechtslandeplätze zu organisieren, wovon
er Jagd auf feindliche Flugzeuge machte. In Drama war es ihm vergönnt
insgesamt 14 anerkannte Luftsiege zu erreichen. Das bevorzugte
Flugzeug von Eschweges war der Doppeldecker Typ Halberstadt D III.
Bis
zum 28.10.1917 hatte von Eschwege keinen einzigen Angriff auf
Fesselballone (Beobachtungsballone) gewagt. Er war der Meinung, dass
ein solcher Angriff doch zu viele Risiken mit sich bringt. Der
Angriff auf einen Ballon war deshalb so gefährlich, weil er erstens
relativ schnell durch eine Seilwinde auf Bodennähe gezogen wird und
zweitens Artillerie- und Maschinengewehrfeuer den Ballon von der
Erde aus schützt. Am 28.10.1917 zog Rudolf von Eschwege los, um auf
Ballonjagd zu gehen. Er hatte heimlich seine Maschinengewehrgurte
mit Brandmunition gefüllt und keinen von seinem Vorhaben
unterrichtet. Von Eschwege wollte einen Überraschungsangriff auf
einen Fesselballon der Ballonsektion 17 an der Strumafront bei
Orljak wagen. Nach dem vierten Angriff steht der Ballon in Flammen.
Von Eschweges Flugzeug windet sich in regellosen Kurven durch das
aufheulende feindliche Feuer und erreicht sicher den heimatlichen
Flughafen. Schon am 9. November 1917 stand ein neuer Ballon an der
gleichen Stelle. Der Ballon war nur 250 Meter hoch und es herrschte
eine starke Bewölkung. Von Eschwege war nicht zu bremsen. „Fallen
muss er doch!“ gab von Eschwege an und flog Richtung Strumafront.
Über den Wolken pirscht er sich heran und stößt durch ein Loch
auf den Ballon hinunter. Aufgrund der einsetzenden Ladehemmungen,
die nicht mehr beseitigt werden konnte, musste der Kampf abgebrochen
werden. Am 15. November 1917 fragte Eschwege vorn an, ob der Ballon
wieder hoch sei. Man antwortete ihm, dass heute ein Angriff unmöglich
sei. Erstens steht der Ballon nur 500 Meter hoch, und zweitens
kreisen 3 englische Flugzeuge zu seinem Schutze über Orljak. Das
konnte Rudolf von Eschwege nicht aufhalten. Unter geschickter
Ausnutzung der Wolken gelingt es ihm, ungesehen in die Nähe des
Ballons zu kommen. Als er den richtigen Abstand hat, stellt er seine
Maschine auf den Kopf und braust im Sturzflug zwischen den überraschten
Schutzfliegern hindurch auf den Ballon hinunter. Es ist eine Tollkühnheit,
die nur dann Erfolg haben kann, wenn er den Ballon beim ersten
Anflug zum Brennen bringt. Zu einem zweiten Anflug würden ihn die
englischen Flieger keine Zeit mehr lassen. Und das Glück ist ihm
wieder günstig. Nach wenigen Schüssen schon tanzt die rote Flamme
auf der Hülle. Kurve - zur Front zurück. Bereits der 18 anerkannte
Luftsieg. Am 19. November 1917 schießt Rudolf von Eschwege einen
englischen B.E.-Zweisitzer ab.
Am
gleichen Tag startet er noch mal gen Orljak, wo auf allierter
Frontseite ein weiterer Fesselballon trotzt. Aus sicherer Entfernung
sichtet von Eschwege 4 feindliche Schutzflieger. Trotz der
feindlichen Übermacht stellt von Eschwege die Maschine Kopf und stößt
auf die englischen Flieger zu. Aber die Engländer sind durch seine
letzten Siege so mutlos geworden, dass alle vier - hier, viele
Kilometer hinter ihrer eigenen Front, im Schutze ihrer Kanonen und
ihrer Maschinengewehre - vor dem einen Deutschen flüchten. Lachend
fliegt Rudolf von Eschwege wieder nach Hause. Nun hat er den
Ehrennamen verdient, den ihm die Bulgaren verliehen haben:
Bjelomorssko orel - Adler des Ägäischen Meeres. Jetzt ist er
wahrhaft König der Lüfte.
Grau
wuchs der Morgen des 21. November 1917 herauf. Eschwege hatte seine
beiden Maschinengewehrgurte mit Brandmunition gefüllt und maß die
Patronen mit der Lehre nach. Er wollte heute seinen vierten
Ballonangriff innerhalb von 3 Wochen wagen. Von Eschwege flog
Richtung Orljak und sah auf wenigstens 800 Meter Höhe den
englischen Fesselballon. Die letzten Augenblicke im Leben Rudolfs
von Eschwege wurden von einem bulgarischen Leutnant einer
Artillerie-Beobachtungsstelle wie folgt überliefert: „Jetzt
tauchte der Deutsche in das Gesichtsfeld ein - jetzt stürzte er
sich wie ein Adler auf seine Beute - jetzt schoss er wohl. Hatte
seine Brandmunition gezündet ? Jetzt war er bis auf wenige Meter
heran - jetzt hob das Flugzeug wieder seinen Kopf - jetzt flog es
knapp über den Ballon hinweg - und jetzt entzündete sich die
Hülle.
Hurra! Aber das war anders als sonst: der Ballon lohte heute mit
einem Schlage zu einer mächtigen Feuersäule auf. Langsam torkelten
die brennenden Fetzen der Hülle zur Erde“. Die ungeheure Spannung
der bulgarischen Soldaten machte sich in einem brausenden
Jubelgeschrei Luft. Nur dem Offizier kam bange Ahnung, die sein Herz
zittern machte. „Wo war Eschwege ? Ja - dem Himmel sei Dank! - er
war behütet worden. Denn jetzt sah man deutlich, wie das Flugzeug
aus dem Rauch herauskam und abschwenkte. Aber - o Jammer! - es
neigte sich über den linken Flügel - jetzt rutschte es seitlich ab
- und dann stellte es sich, vom schweren Motor gezogen, auf den Kopf
und sauste zur Erde herunter. Das war ja entsetzlich! Das war ja
nicht möglich, dass Eschwege nicht mehr sein sollte!“ In banger
Sorge wandte sich der Offizier seinen Leuten zu. Die hatten nur den
Ballon aufflammen sehen und lagen sich lachend in den Armen. Als er
ihnen von seiner Beobachtung sagte, wich der Jubel einer jammernden
Trauer. „Eschwege tot! Unser Eschwege tot!! Wir können es nicht
glauben!“
Die
bulgarische Meldung lies offen, ob Rudolf von Eschwege, wenn auch
verwundet, so doch noch lebend heruntergekommen sei. Warum aber war
der Ballon nicht langsam abgebrannt ? Es gab nur eine Möglichkeit:
die Engländer hatten den Korb mit Sprengstoff beladen und diesen
durch eine Zündleitung in dem Augenblick zur Explosion gebracht,
als Eschwege nach gelungenem Angriff dicht über dem Ballon
hinwegfliegen musste. Der Beobachter im Korb war dann nur eine
Strohpuppe gewesen. Die Annahme wurde später durch Gefangene und
auch durch den Tätigkeitsbericht des Wing 16 bestätigt. Hier heißt
es:
„Nachdem
der Ballon dreimal brennend abgeschossen worden war, wurde eine
unbrauchbare Hülle aufgeblasen.
Der Korb war mit einer schweren Bombe beladen, deren Brisanz
nach den Berechnungen jedes Flugzeug im Umkreis von 90 Metern zum
Absturz bringen musste. Mit der Erdbeobachtung war sie durch eine
elektrische Zündleitung verbunden. Als am 21. November 1917 ein
feindlicher Jagdflieger im Angriff nahe an den Ballon heranging,
wurde die Sprengladung entzündet, so dass die feindliche Maschine
mitten durchbrach. Bei der Untersuchung fand sich die Vermutung bestätigt,
dass sie von Leutnant von Eschwege, dem erfolgreichsten deutschen
Jagdflieger an dieser Front, geführt worden war.“
Am
Nachmittag erschien ein englischer Flieger über Demirhisar und warf
einen Wimpel ab, in dessen sandbeschwertem Täschchen sich ein
deutsch geschriebener Brief folgenden Inhalts fand:
„An
das bulgarisch-deutsche Fliegerkorps in Drama. Die Offiziere des Königl.
Fliegerkorps bedauern festzustellen, dass Leutnant Rudolf von
Eschwege getötet wurde, während er den Fesselballon angriff. Seine
Privatsachen werden in den nächsten Tagen über die Linien
geworfen.“
Wenige
Tage später ließ ein Engländer einen zweiten Abwurfwimpel
herunterflattern. Er enthielt die Fotografien von Eschweges
Beerdigung. Rudolf von Eschwege war von den Engländern mit militärischen
Ehren zur letzten Ruhe geleitet worden.
Sechs Fliegeroffiziere
trugen seinen Sarg.
Wir
haben ihn nicht vergessen.
Der
Verfasser
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